25.3.14

Melaza, ein kubanischer Fassbinder-Film von Carlos Lechuga

Lechugas Debütfilm erhielt mit seiner stillen Erzählweise den Wettbewerbspreis auf dem 62. Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg. 

Zu sehen am 26. Mai in Anwesenheit des Regisseurs auf dem Cuba im Film Festival, Filmforum Frankfurt-Höchst
In Melaza wirft Carlos Lechuga einen Blick auf das Leben einer kleinen Patchwork-Familie auf dem Land. Die Zuckerwerke bieten die ökonomische Grundlage des Dorfes. Geprägt wird der Alltag der Familie durch den Stillstand und die karge materielle Lage. So verlässt die Familie tagsüber ihr Haus, um es an Yamilé (Yaité Ruiz), die professionelle Prostituierte im Dorf, zu vermieten. Die jungen Eheleute verbringen die eigenen intimen Momente in den verlassenen Hallen des Zuckerwerks, das zugleich der einsame Arbeitsplatz von Mónica (Yuliet Cruz) ist und dessen Stillstand sie verwaltet. Doch als die Polizei das nicht genehmigte Mietverhältnis entdeckt und ein Bußgeld verhängt, gerät die Familie unter Druck. Alle Mitglieder gehen an ihr Äußerstes um das Bußgeld aufzutreiben: Die Großmutter (Ana Gloria Buduén) fährt im Rollstuhl durch das Dorf und verkauft Krapfen, Mónicas Ehemann Aldo (Armando Miguel Gómez) vernachlässigt seine Anstellung als Heimatkunde- und Sportlehrer und steigt in den illegalen Fleischhandel ein, die Tochter (Carolina Márquez) schwänzt die Schule und Mónica bestiehlt die Dame deren Haushalt sie nun putzen geht und wird Gelegenheitsprostituierte. Doch dabei verharren alle in ihrer Mittelmäßigkeit, die Katastrophe bleibt aus.

So gar nicht kubanisch

Lechugas Film entbehrt der Verweise auf Klassiker des kubanischen Films. Weder spielt er die üblichen musikalischen Genres ab – obgleich die Liedtexte auf die Gefühlswelten der Figuren einstimmen –, noch kommen humoristische Einlagen, linguistische oder geographische Spezifika zum tragen. Alle Stereotypen bleiben außen vor: Keine talentierten jungen Menschen, kein Yorubakult und auch kein Blick in einen leeren Kühlschrank. Einzig die Zuckerindustrie, Radio Melaza, la más dulce del vial und die ins Absurde gekehrten Bekundungen von Vaterlandsliebe verleihen einen bitteren Lokalkolorit. Stattdessen zitiert Lechuga sich selbst, indem er eine Szene aus seinem zwei Jahre zuvor entstandenen Film Los bañistas (2010) einfügt und zwischen die eher schlichte Handlung Stimmungsbilder setzt, die jedoch für die Handlung nicht von Bedeutung sind. Als typisch kubanisch darf der Film daher nicht gewertet werden, denn die Misere lässt sich auf all jene Orte übertragen, an denen der Anspruch von Recht und Ordnung in der Realität nicht erfüllt werden kann. Tragisch ist nur, dass die Menschen beim Versuch diesem Genüge zu tun, in die Illegalität getrieben werden.

Sex doesn't sell at all

Die Protagonistin Mónica entspricht nicht den gängigen Frauenfiguren im kubanischen Film. Isoliert wirkt sie in diesem Film eher indianisch und könnte auch aus Nicaragua stammen, obgleich sie als Darstellerin in Habana Eva und La película de Ana und Se vende (2012) den Stereotypen nahe steht. Und selbst wenn ihr Körper dem Betrachter dargeboten wird, liegt das Augenmerk eher auf dessen Verletzlichkeit. Bezeichnend hierfür ist jene Szene, in der sie sich in Gegenwart von Mutter und Tochter zurechtmacht und von beiden liebevoll hinsichtlich ihres Outfits beraten wird, um als Prostituierte loszuziehen. Zum Abschied schmiegt sich ihre Tochter noch an ihren Bauch. Die Tochter ist übrigens übergewichtig, auch das wird selten gezeigt. Sex wird lediglich aus der Distanz gezeigt und obgleich das Heim der Familie der Prostituierten als Arbeitsplatz dient, ereignen sich die einzigen beiden Sexszenen in der Werkshalle. Zu Beginn des Films sehen wir das Paar beim Geschlechtsakt aus der Ferne, Eisenträger und Geräte und Unschärfe verstellen den Blick. Die zweite Szene zeigt ausschließlich Mónica wie sie sich entkleidet, den BH fallen lässt und jemandem im Off das Kommando gibt: ¡Dale! Doch Details, Auslassungen und Leerstellen im Film lassen Zweifel darüber aufkommen, ob es tatsächlich zum Koitus mit Márquez (Luis Antonio Gotti), dem Personalchef des Werks, gekommen ist. Von diesem verspricht sich Mónica Geld oder wenigstens eine besser bezahlte Anstellung für ihren Mann. Und da diese Sexszene lediglich im Kopf des Betrachters stattfindet, möchte man den Hergang überprüfen und es ihrem Ehemann gleich tun, der später das zurückgelassene Laken untersucht.

Ein distanzierter Blick und eine eliptische Erzählweise

Bildkompositorisch setzt Lechuga überwiegend auf Totale und Halbtotale, die oftmals gerahmten Szenen sind komplett ausgeleuchtet, die Farben sind immerzu satt, die Kleidung scheint neugekauft. Die eigentliche Misere wirkt immer zugleich sauber und aufgeräumt und kontrastiert zu den anderen notwendigen Alltags- und Arbeitsgeräten, die abgenutzt oder verbraucht sind. Die Einstellungen sind vorwiegend statisch, lediglich zwei subjektive Steadycam-Einstellungen und wenige präzise gesetzte Nahaufnahmen brechen die Distanz, ohne jedoch in die Handlung eingebettet zu sein oder diese zu dynamisieren. Sie bleiben kurze isolierte Szenen – manchmal nur eine Einstellung –, Stimmungsbilder von Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit wie lose eingeschoben, zwischen jenen die die Handlung vorantreiben. So geschieht vieles im Verborgenen, die Kamera zeigt lediglich Menschen die gewissenhaft und unerbittlich ihren Tätigkeiten nachgehen: Mónica protokolliert den Zustand der stillstehenden Maschinen, Aldo erteilt auch ohne Wasser seinen Schwimmunterricht, die Polizisten entdecken ein Vergehen und verhängen ein Bußgeld und auch die Angestellte der Bußgeldannahmestelle lässt sich von Mónica nicht erweichen. Eine Schlüsselszene besteht daher im Auswechseln der Glühbirnen durch Mónica. Zu Beginn des Films tauscht sie nach betreten des Hauses beiläufig eine Birne aus. Was man sonst vielleicht selten tut, ist für sie zur Gewohnheit geworden. Sie tauscht das Rotlicht des Bordells gegen das gelbe Licht ihres Heims, die Nacht am Tag gegen den Tag bei Nacht.

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